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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Montag, 3. November 2025

Gedenkveranstaltungen zu den antijüdischen Pogromen am 9. November 1938

In ganz Deutschland finden am 9. November 2025 zahlreiche Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 statt. Hier sind einige ausgewählte Orte und Programme.


Gedenkveranstaltungen zum 9. November 2025


Berlin (Fasanenstraße & Levetzowstraße):

  • Neben der ganztägigen Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus findet um 16:00 Uhr eine Gedenkkundgebung mit antifaschistischer Demonstration am Mahnmal Levetzowstraße in Moabit statt.

Döbeln (Sachsen):

  • Am Obermarkt 13 organisiert der Verein Treibhaus Döbeln e. V. von 18:00 bis 20:00 Uhr eine Mahnwache an den Stolpersteinen mit anschließender Gedenkveranstaltung.

Möckernkiez (Berlin):

  • Um 18:00 Uhr beginnt im Forum der Genossenschaft Möckernkiez eine Veranstaltung mit Lesung und Erinnerung an die polnische Widerstandskämpferin Irena Sendler, musikalisch und literarisch begleitet.

Sachsenweit:

  • Die sLAG – Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem NS listet weitere Veranstaltungen in Städten wie Leipzig, Dresden, Chemnitz und Plauen. Diese reichen von Stolperstein-Putzaktionen über Schülerprojekte bis hin zu öffentlichen Lesungen und Ausstellungen.

Deutschlandweit:

  • Viele Städte und Gemeinden – darunter Frankfurt am Main, München, Hamburg, Köln, Erfurt und Bremen – veranstalten Gedenkfeiern, Kranzniederlegungen, Zeitzeugengespräche und Bildungsformate. Lokale Initiativen, Schulen und Gedenkstätten beteiligen sich aktiv.

Diese Veranstaltungen erinnern an die systematische Gewalt der Pogromnacht 1938, bei der über 1.400 Synagogen zerstört, tausende jüdische Geschäfte geplündert und mehr als 30.000 Menschen in Konzentrationslager verschleppt wurden.

Frankfurt am Main

Paulskirche, 16:00 Uhr: Gedenkstunde mit Oberbürgermeister Mike Josef und Podiumsgespräch zur digitalen Erinnerungskultur

Westend-Synagoge, 18:30 Uhr: Gebete, Ansprachen und musikalische Beiträge mit Rabbiner Avichai Apel und Julien-Chaim Soussan

München

Altes Rathaus, 18:00 Uhr: Gedenkveranstaltung der Israelitischen Kultusgemeinde mit Fokus auf jüdische Kinder und Jugendliche

Livestream über das NS-Dokumentationszentrum München verfügbar

Hamburg

Joseph-Carlebach-Platz, 13:00 Uhr: Mahnwache an der Stelle der zerstörten Bornplatzsynagoge

St. Pauluskirche Heimfeld, 18:00 Uhr: „Heimfeld leuchtet“ – Wandelkonzert und Lichteraktion mit Biografien von Stolperstein-Opfern

Köln

St. Dionysius, Köln-Longerich, 19:00 Uhr: Ökumenische Gedenkveranstaltung mit Jugendlichen der katholischen Gemeinden

Innenstadt, 11:00 Uhr: Kostenfreie Stadtführung „Köln im Nationalsozialismus“

Ehrenfeld, 10. November: Schweigemarsch und Gedenken an die Edelweißpiraten

Erfurt

Jüdischer Friedhof: Gedenkfeier der Jüdischen Gemeinde mit Vertretern aus Politik und Religion

Evangelische Kirche Mitteldeutschland: Friedensgebete und Gedenkwege in mehreren Gemeinden

Bremen

Gröpelinger Heerstraße, 11:00 Uhr: Mahnwache vor dem ehemaligen jüdischen Altersheim

Synagoge Bremerhaven, 11:30 Uhr: Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung




Severin Groebners Neuer Glossenhauer #82: Stadtbilder


     Ich seh vor lauter Grün das Braune nicht © Foto: Dominic Reichenbach, Artwork: Claus Piffl



Stadtbilder

Städte! Immer dasselbe mit Ihnen. Paris etwa. Da war ich am Samstag. Und? Schon verschwinden die Kronjuwelen Frankreichs und das ganze Land ist entsetzt. Warum eigentlich? Das Land ist doch schon seit längerem eine Republik, oder?
Manche Menschen vermuten hinter diesem Einbruch ausländische Mächte. Es könnten aber auch inländische gewesen sein. Vielleicht hatte der neue Premierminister - der der gleiche ist wie der alte - auch nur eine sehr, sehr innovative Idee, wie man das Budget sanieren könnte.

Wenn die Kronjuwelen ein Handy hätten, könnte man sie wenigstens anrufen. Oder man könnte diese indonesische Firma fragen, ob sie sie nicht orten könnte. Eine tolle Firma, geleitet von einem Österreicher und einem Deutschen (Historisch betrachtet: eine Traumkombi! Was soll da schiefgehen?), die sehr gerne  Spähsoftware verkaufen. Und zwar absolut bedenkenfrei an jeden, der das nötige Kleingeld hat. Zum Beispiel auch an den Vatikan.
Als ehemaliger, unfreiwilliger Benutzer einer katholischen Volksschule weiß ich jetzt, dass der Satz „Gott sieht alles!“ also wörtlich gemeint ist.
Nur braucht auch Gott dabei sichtlich technische Unterstützung.

Das Gegenteil von Unterstützung haben dieses Wochenende Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern auf den Straßen des Landes zum Ausdruck gebracht. Unter dem Slogan „No Kings“ haben sie gegen Ihren Präsidenten demonstriert. Ob er das verstanden hat, weiß man nicht. Vielleicht denkt sich der auch: „Kings? Wieso Mehrzahl? Ich bin doch ganz allein Herrscher?“
Immerhin haben die Demonstrationen gezeigt, dass das Meinungsbild in den USA nicht so einfärbig ist, wie man glauben mag. Obendrein protestieren Menschen gegen Trump nicht einfach so, sondern vermehrt in Frosch-, Hühner- oder Einhornkostümen.
Das ist erstens herzerwärmend kindisch und zweitens gut für das Stadtbild.

Apropos „Stadtbild“ (gar nicht mal sooo konstruiert dieser Übergang, oder?):
Der deutsche Bundeskanzler Fritz… also Friedrich, nein, nicht der Große, sondern Friedrich die Blöße. Der heißt so -  nicht wegen der glänzenden Glatze, die er mit sich rumträgt - sondern wegen der Blöße, die er sich regelmäßig gibt. Zum Beispiel, wenn er mal den Mund aufmacht. Bei einem Besuch in Brandenburg hat er etwa gesagt:
Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen im Vergleich August 24/August25 um 60 Prozent nach unten gebracht.
Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem.
Und deswegen ist ja der Bundesinnenminister auch dabei jetzt in sehr großem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.


Und wegen dieser Aussagen gibt es nun viel Aufregung.
Aufregung, die ich nicht verstehe. Nicht, weil ich Österreicher bin und rechtsrechtes Schlechtmenschen Blabla seit 1986 leider gewohnt bin, sondern weil der Fritz doch recht hat.
Das zeigt sich aber erst, wenn man die Sätze im einzelnen betrachtet.

Bei der Migration sind wir sehr weit.“
Das stimmt.
Deutsche und Deutschinnen sind aus Deutschen Landen und Ländern und Läden in die ganze Welt ausgewandert. Es gibt Deutsche in den USA, in Kanada, Argentinien oder Chile (nach 1945 sind die Zahlen dort etwa sehr gestiegen. Und ein paar von denen haben dann auch Karriere gemacht in der Militärdiktatur später… die hatten nämlich tolle antidemokratische Vorerfahrungen, die sie einbringen konnten) und sonstwo in Lateinamerika.
Aber es gibt auch Deutsche Migranten in Kasachstan, Israel und in der Türkei.
Nicht zu vergessen: Deutsche in Angola, Namibia und Südafrika (da kamen viele im 19. Jahrhundert, dann wieder ein paar nach 1945 wegen… naja… siehe Argentinien und Chile).
Und es gibt freilich auch Deutsche, die nach Neuseeland und Australien migriert sind.
Der letzte Kontinent, der von deutscher Migration also noch nicht betroffen ist, ist die Antarktis.
Kurz gesagt: Fritz der Kahle hat recht. Bei der Migration sind die Deutschen wirklich sehr weit.

Was sagt er noch?
Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen im Vergleich August 24/August25 um 60 Prozent nach unten gebracht.“
Nun ja, kennt man ja auch aus dem Privatleben. Der eine bringt den Müll runter, der andere trägt die Sommerklamotten und die Luftmatratze in den Keller und die Bundesregierung bringt eben die Zahlen runter. Das scheinen die immer in der Sommerpause zu machen: im August.
Soll einer noch sagen, die tun nichts. Um 60 Prozent haben sie die sogar nach unten gebracht.
Bravo! Ich bring immer um fünf das Leergut zurück, die Bundesregierung dagegen um 60 Prozent die Zahlen runter. Ich würde sagen: Fällt beides unter Haushaltsführung.

Was sagt Friedrich von der traurigen Gestalt noch?
„Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem.“
Also darüber regen sich alle auf? Gut der Satzbau ist gewöhnungsbedürftig, aber sonst? Ganz ehrlich, der Mann hat recht.
Denn, wenn man deutsche Städte vergleicht mit anderen Weltgegenden - etwa: Südfrankreich, Italien, Spanien oder andere Destinationen, wo die Deutschinnen und Deutschen gerne Urlaub machen (oder manchmal sogar hin migrieren) - dann fällt sofort auf: die deutschen Städte haben ein Problem mit dem Stadtbild. Und was für eines.
Das deutsche Stadtbild ist nämlich großteils häßlich. Oder sagen wir es lieber schön: ästhetisch herausfordernd. Oder noch schöner: Es gibt einen Grund, warum es das geflügelte Wort „Bezaubernd wie eine deutsche Innenstadt“ in keiner Sprache dieser Welt gibt.

Natürlich könnte man etwas daran verbessern.
Es gäbe die Möglichkeit, Fassaden zu begrünen, Bäume zu pflanzen, Spielstraßen einzurichten und ähnliches. Und tatsächlich - jetzt die gute Nachricht! - der Bundesfritzler möchte das sichtlich auch tun. Wie ist denn sonst sein letzter Satz zu verstehen?
Und deswegen ist ja der Bundesinnenminister auch dabei jetzt in sehr großem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.
Das kann doch nur bedeuten, dass das Innenministerium dabei ist, diese häßlichen, lärmenden,  Giftstoffe ausstoßenden Blech-Dinger, die obendrein neunzig Prozent der Zeit völlig nutzlos herumstehen, Platz verbrauchen und tatsächlich sehr, sehr schlecht für das Stadtbild sind, endlich aus den deutschen Innenstädten zu verbannen.
Zurückführen… aber wohin? Wahrscheinlich in die über das ganze Land verbreiteten Autofabriken. Dort kommen die Dinger ja auch her. Leergutrücknahme für Blechkisten.
Am Ursprungsort angekommen werden die Dinger dann upgecycelt zu brauchbaren und sinnvollen Geräten: Fahrrädern, E-Scootern oder Kinderwägen.
Und das nicht nur ein bißchen, sondern „in sehr großem Umfang“!
Dafür sollte man seine Kanzlereierkopfigkeit nicht kritisieren.

Denn diese Interpretation seiner Worte ist ja auch die einzig zulässige.
Schließlich würden alle anderen Auslegungen der Aussagen des im Braunen fischenden Fischers Fritz ja ergeben, dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland rassistische Stereotype bedient. Und ganz ehrlich: Ein Regierungschef in Deutschland, der rassistische Sachen sagt?
Das ist absolut undenkbar.

Schließlich ist der Rassismus zusammen mit dem Antisemitismus in Deutschland 1945 verschwunden (siehe Argentinien, Chile und Südafrika). Und außerdem: wenn in Deutschland ein Rassist regiert, muss das schon ein Österreicher sein. Damit sich nachher alle deutsche Untertanen auf den Ausländer rausreden können.
Und die Österreicher wiederum auf die Deutschen.
Und so versteht man sich ohne große Worte, pflegt miteinander gute Kontakte und - natürlich - das Stadtbild.

——

groebner live:

Bei der „SWR - Nacht der Poet:innen“ am 23. Oktober im Schloß Kapfenburg
Am 25. Oktober in Ursensollen im Kubus.

Alle Termine gibt es hier.

groebner gehört:
Satire-Pop-Album 
„Nicht mein Problem“
„Ende der Welt“ auf Bayern 2 und in der ARD-Audiothek, wo ich über 
Kaffeesatz nachdenke, die richtigen Worte zum Abschied, über den Herbst und seine Superlative oder über das extrem spannende Verhältnis von Wahrheit & Wurst.

Einen ganz neuen Song (ist die Zugabe vom neuen Programm, aber psst!) kann man direkt 
auf der Homepage hören.

groebner gesehen:
Auftritt im 
Schlachthof (BR) und in der Anstalt (ZDF)

groebner gefolgt:
Videos auf 
YouTube, auf Instagram oder auf Facebook zu sehen.

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Severin Groebner, Stadtsparkasse München, IBAN: DE51 7015 0000 0031 1293 64

Freitag, 31. Oktober 2025

Der Staat als Unternehmer – Idee, Geschichte und Perspektive


Ursprung der Idee

Die Vorstellung, dass der Staat nicht nur reguliert, sondern auch selbst wirtschaftlich tätig ist, reicht weit zurück. Schon im Merkantilismus des 17. und 18. Jahrhunderts betrieben viele Staaten eigene Manufakturen, Bergwerke und Handelsgesellschaften. Ziel war die Sicherung nationaler Unabhängigkeit und die Akkumulation von Reichtum im Inland.

Im 19. Jahrhundert entwickelte Friedrich List die Idee einer aktiven Wirtschaftspolitik: Der Staat müsse Industrie und Infrastruktur fördern, um langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern – ein Gedanke, der Deutschland zur industriellen Großmacht machte.


Vom Sozialstaat zur Sozialen Marktwirtschaft

Mit dem Aufstieg des industriellen Kapitalismus und den sozialen Folgen entstanden neue Modelle staatlicher Verantwortung.
Otto von Bismarck führte Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Sozialversicherungen ein – ein früher Schritt in Richtung staatlicher Absicherung und Lenkung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg formte Ludwig Erhard die Soziale Marktwirtschaft: Marktfreiheit blieb bestehen, doch der Staat sorgte für soziale Ausgleichsmechanismen und wirtschaftliche Stabilität.

Damit wurde Deutschland zu einem Modell, das wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und sozialen Ausgleich verband.


Die neoliberale Wende und ihre Folgen

Ab den 1980er Jahren begann eine Phase intensiver Privatisierungen: Energieversorger, Post, Bahn, Telekommunikation und teilweise Wohnungen wurden in private Hände überführt.
Begründung: Der Markt sei effizienter als der Staat.

Doch die Praxis zeigte, dass viele Privatisierungen zu Preisanstiegen, Marktkonzentration und sozialer Ungleichheit führten. Öffentliche Kontrolle ging verloren, während Gewinne an private Eigentümer flossen. Hier zählt der Profit noch mehr, der Wettbewerb tobt.


Der Staat als Unternehmer 2.0

In einer Zeit globaler Unsicherheit – von Energiekrise bis Digitalisierung – kehrt die Idee des aktiven Staates zurück.
Das neue Modell unterscheidet sich jedoch klar von der alten Planwirtschaft:

  • Der Staat handelt unternehmerisch, aber nicht zentralistisch.

  • Er investiert in Zukunftsbranchen wie grüne Energie, KI, Mobilität, Infrastruktur, Bildung und Gesundheitsversorgung.

  • Gewinne werden nicht privatisiert, sondern sozial reinvestiert.

Dieses Konzept steht für eine „Rendite fürs Gemeinwohl“.


Vorteile für Bürger

Ein unternehmerischer Staat kann:

  • Renten sichern, indem Gewinne öffentlicher Unternehmen in Fonds einfließen.

  • Steuern senken, da der Staat selbst Einnahmen generiert.

  • Preise stabilisieren, indem er monopolartige Strukturen verhindert.

  • Bürger beteiligen, etwa durch Bürgerfonds oder staatliche Dividendenmodelle.

So entsteht ein direkter Nutzen: Wohlstand, Stabilität und Teilhabe.


Vorteile für den Staat

Auch aus staatlicher Sicht ergeben sich strategische Vorteile:

  • Finanzielle Unabhängigkeit von kurzfristigen Steuererhöhungen.

  • Gestaltungsspielraum in Krisenzeiten durch eigene Einnahmen.

  • Innovationsförderung durch gezielte Investitionen in Schlüsselindustrien.

  • Soziale Verantwortung durch Reinvestition der Gewinne in Bildung, Pflege und Nachhaltigkeit.


Existierende Modelle und ihre Lehren

Norwegen betreibt mit dem Government Pension Fund Global einen der größten Staatsfonds der Welt. Gewinne aus Öl und Gas sichern Renten, Bildung und Infrastruktur – transparent und effizient.

Singapur besitzt mit Temasek Holdings und GIC zwei hochprofessionelle Staatsfonds, die weltweit investieren. Der Staat agiert wie ein Konzern, der Gewinne in die nationale Entwicklung zurückführt.

Skandinavien zeigt, dass Staatsbeteiligung und Marktinnovation sich nicht ausschließen: Öffentliche Unternehmen konkurrieren mit privaten und setzen soziale Standards.

Deutschland hat mit KfW, Stadtwerken und öffentlichen Sparkassen bereits erfolgreiche Formen staatlicher Wirtschaftstätigkeit – doch sie bleiben untergenutzt.

Dagegen zeigten die ehemalige DDR und Sowjetunion, dass eine vollständig staatliche Planwirtschaft Innovation erstickt und Eigenverantwortung hemmt.
Der heutige Unternehmerstaat muss also marktorientiert agieren, aber gemeinwohlorientiert bleiben.


Der Unternehmerstaat 2040 – Vision

Wenn Deutschland diesen Weg einschlägt, könnte das Jahr 2040 so aussehen:

  • Staatliche Beteiligungen an Schlüsselbranchen sichern jährliche Einnahmen von 150–200 Milliarden Euro.

  • 3–4 Millionen Arbeitsplätze entstehen direkt oder indirekt durch öffentliche Unternehmen.

  • Rentenfonds sind teilweise durch Unternehmensgewinne gedeckt.

  • Steuern sinken moderat, weil der Staat sich selbst finanziert.

  • Digitalisierung und grüne Energie werden zu staatlich geförderten Wachstumsfeldern.

  • Bürgerfonds ermöglichen Teilhabe an staatlichen Gewinnen.

  • Der Staat wird zum Unternehmer mit sozialem Gewissen, nicht zum Bürokraten.


Fazit

Der Staat als Unternehmer ist kein Rückfall in den Sozialismus, sondern eine Erweiterung der Sozialen Marktwirtschaft.

Er verbindet Wirtschaftskraft mit sozialer Verantwortung und sichert das Gemeinwohl durch aktives Handeln, nicht durch Umverteilung allein.

Das Ziel ist nicht Kontrolle, sondern Beteiligung.

Nicht Bürokratie, sondern strategische Intelligenz.

Nicht Profit um des Profits willen, sondern Profit für das Gemeinwohl.


„Der Staat soll nicht alles besitzen – aber das, was er besitzt, muss er führen wie der beste Unternehmer: transparent, effizient, sozial.“


 

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Angélique Letizia: Unsere Überzeugungen sind nicht alles


Was passiert, wenn die Überzeugungen, die uns einst Sicherheit gaben, zu bröckeln beginnen?

In dieser Folge von „Call Cut“ untersucht die Autorin und Kreative Angélique Letizia, wie unsere Identität durch Glaubenssysteme geprägt wird – von Religion und Politik bis hin zu den Geschichten, die wir aus unserer Kindheit mitbringen. Anhand ihrer eigenen Erfahrungen als Katholikin und ihrer Liebe zu Engeln erzählt sie, wie das Festhalten an Überzeugungen sowohl Trost als auch Chaos bringen kann und warum Mitgefühl der einzige Weg nach vorne ist, wenn unsere Geschichten aufeinanderprallen.

Montag, 27. Oktober 2025

Wohin jetzt? Jüdische Geschichte und Gegenwart



Wohin jetzt?

Ein künstlerisch-forschender Programmschwerpunkt zu jüdischer Geschichte und Gegenwart

Die Frage „Wohin jetzt?“ stellten sich um die zweihunderttausend europäische Jüdinnen und Juden nach ihrem Überleben und ihrer Befreiung aus Ghettos, Konzentrationslagern und Verstecken im Jahr 1945. Sie nannten sich „Schejres Haplejte“ – „der gerettete Rest“. Große Teile ihrer Familien wurden in den Jahren zuvor von den Nationalsozialisten und ihren Helfern ermordet. Für die Alliierten waren sie schlicht Displaced Persons (DPs). In den ersten Nachkriegsjahren strebten viele DPs in die amerikanische Besatzungszone. Und auch wenn viele Jüdinnen und Juden ab 1948 in den neu gegründeten Staat Israel auswanderten: Aus den DP-Lagern formierte sich nach der Shoah auch eine neue jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Doch die Geschichten jüdischer Displaced Persons wurden im Nachkriegsdeutschland kaum erzählt, ihre Perspektive fand keinen Platz im öffentlichen Erinnern. Der Nationalsozialismus war offiziell vorbei – und dennoch ging es für Jüdinnen und Juden weiter darum, in einer mehrheitlich feindseligen Umgebung unter Tätern zu bestehen.

Heute, 80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft, stellen wir die Frage „Wohin jetzt?“ neu – in einer Zeit, in der jüdisches Leben in Deutschland zunehmend von israelbezogenem Antisemitismus und Judenfeindlichkeit bedroht ist, in der die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden politisch umkämpft und die Demokratie selbst von vielen Seiten unter Druck geraten ist.

Verschiedene Kooperationspartner – erweiterte Perspektiven

Ein Projekt der Münchner Kammerspielen und des Instituts für Neue Soziale Plastik in Kooperation mit dem Jüdischem Museum München und der Monacensia München

Von Oktober bis Dezember 2025 realisieren die Münchner Kammerspiele und das Institut für Neue Soziale Plastik in Kooperation mit dem Jüdischen Museum München, der Monacensia und weiteren Partner*innen den Programmschwerpunkt „Wohin jetzt?“ – ein künstlerisches Forschungsprojekt, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Ziel ist es, das Verhältnis jüdischer Perspektiven, nicht-jüdischer Biografien und öffentlicher Erinnerungskultur neu zu befragen. Wie wird das Wissen über 1945 – diesen fundamentalen Umbruchsmoment – heute und insbesondere an die junge Generation vermittelt? Welche Brüche, Leerstellen und Umdeutungen zeigen sich in der Gegenwart? Welche Stimmen fehlen – und wie lassen sie sich hörbar machen?

Dabei ergänzen Theater, Museum und Literaturarchiv gegenseitig ihre Perspektiven und spannen damit einen weiten Blickwinkel auf:

„Seit Beginn ihrer Intendanz befassen sich Barbara Mundel und ihr Team mit der Geschichte und Verantwortung der Münchner Kammerspiele – insbesondere in Bezug auf die Geschichten einstiger Mitarbeiter*innen jüdischer Herkunft (schicksale.muenchner-kammerspiele.de). Erinnerung wird nicht nur dokumentiert, sondern performativ, digital und diskursiv neu verhandelt. In der Reihe „Schreiben über die Situation“ werden Texte  von Autor*innen und Dramatiker*innen jüdischer Herkunft präsentiert, die sich mit der aktuellen Lage, insbesondere nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, auseinandersetzen.“ (Viola Hasselberg, Münchner Kammerspiele)

„Seit der präzedenzlosen Eskalation des Judenhasses im Nachgang zum Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 treibt die Frage „Wohin jetzt?“ immer mehr Jüdinnen und Juden in Deutschland, Europa und Nordamerika um. Auch die Menschen in Israel fragen sich zunehmend, ob ihr Land noch eine sichere Heimstatt ist. Das Programm „Wohin jetzt?“ erzählt von den Erfahrungen jüdischer Displaced Persons, die sich nach der Schoa fragten, wo ein Leben in Freiheit und Sicherheit überhaupt möglich sein könnte – und setzt sie in Beziehung zur jüdischen Gegenwart.“ (Stella Leder, Institut für neue Soziale Plastik)

„Für das Jüdische Museum München ist die Nachkriegszeit ein zentrales Forschungsthema. München war nach 1945 eine inoffizielle Hauptstadt der jüdischen Überlebenden aus Osteuropa. In vielen Ausstellungen wurden ihre Geschichten erzählt. Auch gerieten Orte der Überlebenden in München und Umland wie zum Beispiel Föhrenwald und St. Ottilien in den Fokus der Recherche. Wir freuen uns das Projekt "Wohin jetzt?" begleiten zu können, in dem das DP-Camp in Feldafing und die Persönlichkeit Philipp Auerbach, Überlebender und "Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte", auf der Theaterbühne erinnert werden. Das jüdische Museum spannt den Bogen dann mit der aktuellen Ausstellung „Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“ weiter in die Gegenwart.  Und wie damals stellt sich die Frage "Wohin jetzt?". (Jutta Fleckenstein, Jüdisches Museum München)

„Jüdisches Leben und Schreiben in München nach 1945 stehen im Mittelpunkt unseres Programms. Von unserem Sitz in Bogenhausen aus richten wir den Blick auf internationale Zusammenhänge und persönliche Hintergründe dieser Rückkehr. Wir stützen uns auf Erkenntnisse aus der Erforschung der Geschichte unseres während der NS-Zeit enteigneten Hauses sowie auf Bestände des Literaturarchivs der Monacensia – allen voran das Archiv Salamander. Im Programm „Wohin jetzt?“ übersetzen wir dieses Wissen in Stadtspaziergänge, Lesungen, Workshops und Gespräche – hörbar, erfahrbar, nachvollziehbar.“ (Anke Buettner, Monacensia München)


Das Programm

Zwischen Oktober und Dezember 2025 finden in den Münchner Kammerspielen, dem Jüdischen Museum, der Monacensia und verschiedenen anderen Orten vielseitige Veranstaltungen statt.

Darunter:

URAUFFÜHRUNGEN

Zeit ohne Gefühle I Do, 30.10.2025, 19.30 Uhr I Therese-Giehse-Halle
Eine Erzählung aus Feldafing über uns alle von Lena Gorelik
Regie: Christine Umpfenbach 

Play Auerbach I Do, 4.10.2025 I Schauspielhaus
Eine Münchner Erinnerungsrevue
Von Avishai Milstein
Regie: Sandra Strunz

FILME

„Aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland“
Kurzfilme von Mila Zhluktenko, Dina Velikovskaya, Evgenia Gosterer, Arkadji Khaet mit anschließendem Artist Talk

„Jüdische Perspektiven auf Nachkriegsdeutschland“
Dokumentarfilme von Jeanine Meerapfel, Yael Reuveny, Alexa Karolinski mit anschließendem Artist Talk

„Aus Äthiopien und der ehemaligen Sowjetunion nach Israel“
Filme von Salomon Chekol, Aäläm-Wärqe Davidian, Margarita Linton, Yaniv Linton, Yael Kipper, Ronen Zaretsky und anschließendem Artist Talk

KONZERTE

„Die Goldberg-Variationen“ – Orchesterkonzert des Jewish Chamber Orchestra

LITERATURLESUNGEN UNG GESPRÄCHE U.A.

„Mir zenen do!“ Lesung aus Texten der „Schejres Haplejte“ mit Rachel und Beno Salamander in jiddischer und deutscher Sprache

„Alte Verstrickungen – wie das Schweigen der Nachkriegsgesellschaft den Blick auf die Ukraine prägt“ – Lesung und Diskussion mit Marko Martin und Francesca Melandri

„Russische Spezialitäten“ Lesung und Gespräch mit Dimitrij Kapitelman und Erica Zingher

„On the situation of the Jews after October 7“ Eva Illouz und Rachel Salamander im Gespräch zur Situation der Juden nach dem 7.  Oktober

AUSSTELLUNGEN UND SPAZIERGÄNGE

Die Ausstellung "Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis" setzt sich mit der Frage transgenerationaler Traumata und dem emotionalen Erbe der Überlebenden auseinander.

Ein Stadtspaziergang mit Lilly Maier „Jüdisches Leben im Nachkriegs-Bogenhausen“ zeichnet die historische Entwicklung jüdischen Lebens im Nachkriegs-Bogenhausen nach.

WORKSHOPS UND MITMACH-FORMATE

Herbstcamp - „Deine Geschichte zählt“ für Jugendliche von 14-18 Jahre u.a. mit Burak Yilmaz, Dana von Suffrin.
Workshops über den Deutschen Nachkriegsfilm u.a. mit Tucké Royale
Rechercheworkshop zu „Der Nationalsozialismus in Familie und Gesellschaft“ mit Dr. Johannes Spohr

Die künstlerische Leitung liegt bei Viola Hasselberg (Münchner Kammerspiele) und Stella Leder (Institut für Neue Soziale Plastik). Die Projektarchitektur wurde gemeinsam mit jüdischen Autor:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen verschiedener Prägungen und Generationen entwickelt.


Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

Gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Unterstützt vom Kulturreferat München, Public History

Freitag, 24. Oktober 2025

Patrick Roths literarische Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Erzählkino

 Liebe Freundinnen und Freunde der Literatur von Patrick Roth,

 

zum 40jährigen Todestag des „größten Regisseurs aller Zeiten“ am 10. Oktober 2025 haben wir einen kleinen Schatz geborgen: die kürzlich aus einer Umzugskiste in einem überschwemmten Keller gerettete Radio-Arbeit „Lost in Your Shadow“, eine Hommage an Orson Welles.

Das wiedergefundene Hörstück hatte Patrick Roth 1995 für den Bayerischen Rundfunk verfasst. Die Audio-Kassette der geretteten Aufnahme haben wir digitalisiert und frisch hochgeladen.

In atemlosem Tempo vorgetragen hören wir die Stimme des jungen Patrick Roth, der aus dem Alltag eines Film-Enthusiasten in Hollywood erzählt. Dieser filmbesessene Mensch verschlingt bereits zum Frühstück Movies und nimmt die Welt in Kategorien von Movie-Szenen, Movie-Stars und Movie-Anekdoten wahr. Nach dem Schwarzweiß-Klassiker „Utamaro und seine fünf Frauen“ (1946) stürzt er sich auf weitere Film-Raritäten in Form einer „double bill“-Vorstellung am Nachmittag. Als eigentlicher Höhepunkt des Tages erweist sich die abendliche unheimliche Vorführung im Haus eines alten Schnittmeisters, der eine verlorene Szene aus Orson Welles‘ Meisterwerk „The Magnificent Ambersons“ (1942) präsentiert: „Only print there is“.

Hören Sie Patrick Roth: „Lost in Your Shadow. Aus dem Tagebuch eines Filmbesessenen“:

https://www.youtube.com/watch?v=wsmCKQA0dmM


Orson Welles
 antwortete auf die Frage eines Reporters, vom wem er selbst sein Handwerk gelernt habe: „Von den großen Meistern. Ich meine John Ford, John Ford und – John Ford.“

Dieser „cineastischen Trinität“ hat Patrick Roth sein Hörspiel „Silhouette des Reiters“ gewidmet.

Es ist ein „unmögliches Interview“ mit dem großen Meister des amerikanischen Erzählfilms, nicht nur weil darin Fords bereits 1973 verstorbener Geist wiedererweckt wird. Auch weil ein schwärmerischer Schriftsteller hier endlich die Fragen stellt – und Antworten auf sie erhält, die Ford selbst zu Lebzeiten stets abwehrte oder nur höhnisch überging.

Für die SWR-Radioserie „Das unmögliche Interview“ aus der Mitte der 1990er Jahre schrieb Roth das Gespräch, das er mit John Ford gern geführt hätte. Es enthält Roths Erfahrungsreisen durch Fords Werk, stützt sich aber auch auf die Essenz jener Gespräche über Ford, die Roth mit Kennern wie Peter Bogdanovich, alten „movie cowboys“ wie Harry Carey Jr., Ben Johnson oder Henry Fonda, sowie mit Fords Tochter Barbara einst führen konnte.

Um diesen Giganten des amerikanischen Erzählkinos – eines Erzählens in Bildern - geht es also im zweiten Teil unserer kleinen Movie-Reihe: ein weiterer Schatz, den wir kürzlich aus einem überschwemmten Keller retten konnten:

https://www.youtube.com/watch?v=yi6TBAxdZ1c

 

Viel Spaß mit dieser Rarität!

 



Prof. Dr. Michaela Kopp-Marx, 
Germanistisches Seminar

D-69117 Heidelberg

Donnerstag, 23. Oktober 2025

Severin Groebners Neuer Glossenhauer #81 - Statt eines Titels: Oktober-Notizen

 


















So vielfarbige wie der graue Herbst © Foto: Dominic Reichenbach / Artwork: Claus Piffl


Statt eines Titels: Oktober-Notizen

Notiz 1

Ich lese: Geert Wilders sagt einen Wahlkampfauftritt wegen Gefährdung ab. Da dank ich mir:
„Na, endlich sieht das der Mann ein, dass seine Wahlkampfauftritte sowie eigentlich sein gesamtes politisches Wirken das friedliche Zusammenleben in den Niederlanden gefährdet! Das wurde aber auch Zeit!“
Es ist aber leider anders, als ich das verstanden habe.


Notiz 2

Putin gibt zu, dass die russische Luftabwehr vor ein paar Monaten ein aserbaidschanisches Flugzeug in Kasachstan abgeschossen hat.
Das ist sehr freundlich von ihm. Macht aber freilich keins der Todesopfer wieder lebendig.
Und doch lässt es hoffen:
Irgendwann - so in 20 oder 30 Jahren - wird Russland auch zugeben, dass es ohne Grund die Ukraine überfallen hat, Kriegsverbrechen begangen, Kinder verschleppt und ein Terrorregime in der Ostukraine errichtet hat.
Aber das dauert noch.
Der kleine Mann lernt ja gerade überhaupt erst, dass man Fehler auch eingestehen kann.


Notiz 3

Es gibt ein tolles neues Wort im politischen Diskurs: „Postkolonial“.
Der Begriff wabert ja schon seit einiger Zeit herum und wenn ich ihn richtig verstehe, ist „postkolonial“ ein Projekt der mehrheitlich weißen europäischen und US-amerikanischen Bildungselite, die dem Rest der Welt beibringen möchte, sich von der europäischen und US-amerikanischen Dominanz zu befreien.
Das ist gute Tradition.
Schon seit längerem finden weiße Menschen ihren Lebenszweck gerne darin vermeintlich „andersfarbige“ Bevölkerungen auf der Welt zu „befreien“. So wurde ja auch vor 300 Jahren der „zivilisatorische Auftrag“ begründet, in die Welt hinaus zu segeln, die Menschen woanders von ihrer Rückständigkeit zu befreien, um dort dann … naja… äh… Kolonien zu errichten.
Tja, die innere Dekolonisierung ist manchmal das allerschwierigste.

Ich aber wusste schon früh, dass an der Kolonisierung was faul ist.
Das liegt daran, dass ich in Wien im Gemeindebau aufgewachsen bin, und der Platz, wo alle Mülltonnen versammelt waren, hieß: Kolonia-Raum.
Das hatte damals schon einen… Geruch.


Notiz 4

Trump kriegt keinen Nobelpreis.
Das hat ihn angeblich sehr geärgert. Logisch, die Preisträgerin aus Venezuela, Maria Corina Machado, ist erstens eine Latina, zweitens eine Frau und drittens setzt sie sich für Demokratie ein.  Gleich drei Dinge, die Trump nicht mag.
Ich glaube, Trump kriegt aber doch einen Nobelpreis. Vielleicht nicht dieses Jahr, aber nächstes, spätestens übernächstes: Den Wirtschaftsnobelpreis.
Gut, der ist eigentlich kein Nobelpreis, aber das weiß doch der Trump nicht.

Aber der Mann verdient einen Preis: für seine Zollpolitik.
Denn wie der Mann den guten, alten Protektionismus wieder Salon… nein… saloonfähig gemacht hat. Das ist absolut preisverdächtig.
Auch weil die Verbraucherpreise in den USA deswegen ständig steigen.

Und ich persönlich verstehe auch seinen Gram über den nicht-bekommenen Friedensnobelpreis.
Das kenn ich. Ich hab auch dieses Jahr schon wieder nicht den Literaturnobelpreis bekommen.
Obwohl ich brav (naja… sagen wir: häufig) Newsletter schreibe.
Ich hab auch keinen Kleingärtnerpreis gekriegt. Obwohl ich Schnittlauch am Fensterbrett anbaue.
Oder den Milchpreis. Den krieg ich nicht nur nicht, nein, den zahl ich sogar.
(Apropos Geld: Man kann diesen Newsletter auch unterstützen, siehe unten)
Kriegen tun den immer nur die Milchbauern. Und auch die zu wenig davon, wenn man ihnen glauben darf.
Und ich glaub Ihnen, weil ich mein Joghurt mag.

Aber so ist das Leben.
Vielleicht hat aber Trump auch Glück und am Ende bekommt er die höchste Auszeichnung, die ein  Herrscher nur bekommen kann.
Er kriegt: ein Musical.
Nach „Elisabeth“, „König Ludwig“, „Evita“, „Jesus Christus Superstar“ und „König der Löwen“ fehlt eigentlich nur noch ein zweistündiges Herumgekreische mit Bodengymnastik rund um „Donald - Not the Duck“.

Dann kriegt er den Eintrittspreis. Und den Applaus.
Das müsste ihm doch gefallen.
Und es gefällt dann sogar auch allen, die Trump nicht so mögen.
Schließlich kriegt man so ein Musical immer erst nach dem Ableben.

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groebner live:
Alle Termine gibt es hier.

groebner gehört:
Satire-Pop-Album 
„Nicht mein Problem“
„Ende der Welt“ auf Bayern 2 und in der ARD-Audiothek, wo ich über 
Kaffeesatz nachdenke, die richtigen Worte zum Abschied, über den Herbst und seine Superlative oder über das Verhältnis von Wahrheit & Wurst.

Einen ganz neuen Song (ist die Zugabe vom neuen Programm, aber psst!) kann man direkt 
auf der Homepage hören.

groebner gesehen:
Auftritt im 
Schlachthof (BR) und in der Anstalt (ZDF)

groebner gefolgt:
Videos auf 
YouTube, auf Instagram oder auf Facebook zu sehen.

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Der „Neue Glossenhauer“ ist ein Projekt der freiwilligen Selbstausbeutung, wer es dennoch materiell unterstützen will, hier wäre die Bankverbindung für Österreich:
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Dienstag, 21. Oktober 2025

Klassentreffen nach einem halben Jahrhundert

Der alte Teil des Gymnasiums, Richtung Stadt.
Auf der rückwärtigen Seite der Neubau.
© Ralph Hammann - Wikimedia Commons, Creative Commons


Fast fünfzig Jahre ist es her: das Abitur. Na gut, wollen wir genau bleiben, 47 Jahre.  Der Schulhof war voller Laub, die Fahrradständer voll, aufgestellt Pavillons sprich Baracken wegen der hohen Schülerzahl. Die Zukunft danach, der Rückblick heute, ein flimmernder Horizont. Wir treffen uns in einem Zentrum für Behindertenhilfe mit einem eigenen kleinen Gastraum – gealtert, ergraut, manche schon schneeweiß, teils gebeugt, teils gehandicapt, doch mit denselben Stimmen, nur reifer, manchmal leiser geworden.

Wir reden über Lehrer, Mitschüler, sechs von uns sind schon gestorben, ganz schlimm der eine, der sich vor den Zug warf, kurz nach dem Abitur, über Wege, die wir gegangen sind, und Orte, die wir in neun gemeinsamen Jahren (individuell auch weniger) besuchten. Aber was uns wirklich verbindet, sind die Nächte, in denen wir feierten, im Stiftskeller, einem Gewölberaum mit Disco fing alles an, direkt an der Queich, neben der Kirche, das Kino nicht weit.

Tanzabende im Kellergewölbe an der Stiftskirche, wo der DJ die Platten noch von Hand auflegte. Hit auf Hit, heißer und heißer: „Smoke on the Water“ von Deep Purple, Queens "Bohemian Rhapsody", ein Jahrhundertstück – theatralisch, wild, unvergänglich, Pink Floyd mit "Wish You Were Here", melancholisch, sphärisch – der Sound des Abschieds und der Erinnerung, Led Zeppelin mit "Stairway to heaven", monumental und hypnotisch – ein Rock-Mythos, Aerosmith mit "Sweet Emotion", dreckig, sexy, amerikanisch, Fleetwood Mac – "Rhiannon", magisch, flirrend – kurz vor dem großen Durchbruch der Band. David Bowie und noch viele, viele mehr - Schweiß, Wein, Bier, Cola-Rum, Limo, viel zu laute Boxen. Wie wir uns aneinander drängten, tastend, lachend, scheu und kühn zugleich unsere Mädchen eroberten. Wie jemand draußen auf dem Mofa saß, die ersten Zigaretten drehte, und der Mond schien, als würde er auch tanzen wollen. 

Und dann die Feten in den Partyräumen oder Zimmern in unseren Elternhäusern, wenn die Eltern mal weg waren, auf Kur, oder einfach zu gutgläubig. Matratzen auf dem Boden, Kerzen im Gurkenglas, Nudelsalate, Hähnchen im Backofen, roter Wein aus der Tüte. Wir liebten, wie nur Jugendliche lieben, die glauben, die Zeit sei endlos und ihre Körper unsterblich.

Manche Lieben brannten heiß und kurz, andere flackern noch heute in den Augen, wenn zwei sich wiedersehen, nach fünf Jahrzehnten – und plötzlich wissen: Das war ich, das warst du!

Draußen die Welt, wieder unruhig. Einer in Amerika verteilt Grenzen wie Spielkarten, die Ukraine wird erneut zur Wette der Geschichte. Wir hören es, wir nicken oder schütteln die Köpfe, aber für diesen Abend gehört uns die Zeit.

Ein religiöser Freund stellte eine Vergrößerung des gesamten Jahrgangs aus, mit Kerzen davor, wir sprachen ein Gebet für die alten Freunde. 

Und plötzlich werden sie alle wieder wach, diese ziemlich alten Körper, die mal jung waren und unbesiegbar. Heiße Diskussionen, Gelächter, Witze, Erinnerungen und Wiederbegegnungen ... und für einen Atemzug lang sind wir wieder sechzehn, siebzehn, achtzehn und älter – verliebt, verloren, Rivalen, Freunde, albern, voller Hoffnung und wild auf das Leben.

Die ganzen guten Erinnerungen, vielleicht ist das alles, was bleibt. Und vielleicht ist das genug. Aus diesem Grund wird auch das echte 50. Jubiläumsjahr heiß erwartet.



ECM: Sinopoulos / Keerim mit Topos, Meredith Monk mit Cellular Songs und Zehetmair Quartett mit Brahms

In diesen Tagen geht es hinsichtlich der Veröffentlichungsaktivitäten bei ECM und ECM New Series Schlag auf Schlag – heute erscheint eine Aufnahme mit transkultureller improvisierter Musik:


Das griechische Duo des Lyraspielers Sokratis Sinopoulos und Pianist Yann Keerim präsentiert 
mit seinem ersten gemeinsamen Studioalbum 

Topos einen Fundus an inspirierten musikalischen Dialogen, die nahtlos den idiomatischen Raum zwischen europäischer Volkstradition und Kammerjazz überbrücken. Neben Eigenkompositionen der Musiker erscheinen Bartóks sechs „Rumänische Volkstänze“ auf dem Album in neuem Gewand, wobei Sokratis' Lyraspiel einen gesanglichen Kontrapunkt zu Yannis' mal rhythmisch treibender, mal nachdenklich pulsierender Begleitung setzt. Es ist das erste Mal, dass das Duo aus Sokratis' gefeiertem Quartett (mit den Alben Eight Winds und Metamodal) abgekapselt zu hören ist. Das Album wurde im Februar 2024 in Athen aufgenommen und von Manfred Eicher produziert.

 

Gleichzeitig werden zwei Aufnahmen auf ECM New Series veröffentlicht:

„Zusammenarbeit, Verbundenheit und Mitmenschlichkeit“ – diese Qualitäten stellt Meredith Monk in Cellular Songs in den Mittelpunkt, „als Gegenkraft zu den Werten, die derzeit so lautstark vertreten werden.“ Zur Uraufführung schrieb die New York Times: „Frau Monk ließ sehr unterschiedliche Elemente so mühelos ineinanderfließen, dass daraus ein unverkennbarer Hoffnungsschimmer entstand. Wenn man eine solche Synthese erlebt, erscheint es plötzlich möglich, gesellschaftliche Gräben zu überbrücken – oder sogar in sich selbst eine Vielstimmigkeit zuzulassen.“ Cellular Songs bildet den zweiten Teil einer interdisziplinären Trilogie, die mit On Behalf of Nature begann. Diesmal richtet sich der Blick nach innen, auf die Strukturen des Lebens selbst. Inspiration schöpft Monk aus den Vorgängen der Zelle – Replikation, Mutation – und entwickelt daraus einige ihrer kühnsten vokalen Erkundungen. Mit Cellular Songs legt Meredith Monk ihr dreizehntes Album bei ECM New Series vor – entstanden 2022 und 2024 im New Yorker Power Station Studio.

Das Zehetmair Quartett wendet sich für den neuesten Eintrag in seinem New Series-Katalog den ersten beiden Streichquartetten von Johannes Brahms, Op. 51 Nr. 1 und 2, zu – Werke von reifer Reflexion und dramatischer Dringlichkeit, die Brahms' Meisterschaft der Form offenbaren. Schließlich hatte der Komponist, wie er einem engen Freund anvertraute, vor diesen beiden bereits über 20 Quartette geschrieben. Aber Brahms verbrannte die älteren allesamt und machte diese hier zu seinen ersten beiden von insgesamt drei veröffentlichten Quartetten. Aufgenommen mit der für das Zehetmair Quartett charakteristischen Intensität, zeigen die Darbietungen frische und tief empfundene Interpretationen dieser wegweisenden Kammermusikwerke. Bedauerlicherweise ist es die letzte Aufnahme des Quartetts mit dem Cellisten Christian Elliott (1984-2025).

 

Am 24. Oktober folgt noch ein Album mit improvisierter Musik von Steve Tibbetts:

 

Das eindrucksvolle Coverbild mit einer verlassenen, aber beleuchteten Schaukel vor einem funkelnden Sternhimmel, stellt eine fesselnde visuelle Metapher für die Musik auf Close dar. „Musik ist eine Sprache der Dämmerung“, bestätigt Steve Tibbetts. „Die Aufgabe besteht darin, Schatten in Klang zu übersetzen.“ Auf seinem elften ECM-Album setzt der Gitarrist aus Minnesota dieses Streben fort und entwickelt geduldig seine sehnsuchtsvollen improvisierten Melodien über vielschichtigen Loops und Drones und dunkel grollender Percussion. Auch wenn die verwendeten Klangfarben, darunter verzerrte E-Gitarre und glitzernde 12-saitige Akustikgitarre, diese Musik westlich klingen lassen, deutet ihre allmähliche, fast hypnotische Entfaltung weiterhin östliche Affinitäten an. „Ich strebe immer noch nach dem bewegenden Klang von Sultan Khan“, sagt Tibbetts und meint damit jenen verstorbenen indischen Sarangi-Meister, dessen Spiel seit langem zu seinen wichtigsten Einflüssen zählt. 

 

Zudem erschien am 10. Oktober das Album Changing Places des Tord Gustavsen Trios als Wiederveröffentlichung im Rahmen der Luminessence-Vinyl-Reihe.